Irgendwann in meiner Yogalehrer-Ausbildung begann ich mit mir zu hadern, ob ich diesen Weg weitergehen soll. Man setzt sich mit seinen blinden Flecken und Unzulänglichkeiten auseinander. Manchmal ist eben alles zu viel.
Zum Ursprung zurückkehren
In dieser Zeit fiel mir das Buch “Herz-Yoga” von Mark Whitwells in die Hände: Er hat einen ganz authentischen Stil. Vielleicht hat er ihn von seinen Lehrern T. Krishnamacharya, dessen Sohn Desikachar, Nityananda und U. G. Krishnamurti gelernt? Ich durfte ihn bei einer Yoga Conference in Köln einen Tag lang erleben und war von den klaren Ansagen und seinen Erklärungen zur Yoga-Philosophie beeindruckt. Er lehrt alltagstaugliches Yoga, das so leicht und einfach ausgeführt wird, dass es nicht noch mehr Stress verursacht. Seine Aufforderung ist das “7-Minuten-Versprechen” sich selbst gegenüber: Man soll sieben Minuten Yoga jeden Tag praktizieren. Das ist Mark Whitwells Botschaft, mit der er um die Welt reist. Sein Augenmerk liegt auf dem Atem, man baut damit Stress ab, wenn man seinem Typ entsprechend übt. Aber wer tut das schon?
Atmen als Kern des Yoga
Jeder übt Yoga, wie er es angenehm findet. So soll es auch sein, aber kommt man damit aus seiner Komfortzone heraus? Wohl eher nicht. Die Herausforderung liegt darin, so zu üben, dass man an unbekannte Emotionen oder Gedanken gelangt, um sie kennenzulernen. Um zum Kern des Yoga vorzudringen, sollte man Yoga ganz reduziert üben, um das beste nicht zu verpassen. Dann kann man in Verbindung mit dem Atem die Intensität einfachster Übungen dramatisch steigern. Der Trick ist, den Atem gleichmäßig im Fluss zu halten, um zu sich zu gelangen. Man kann dabei im Herzen verweilen.
“Herz-Yoga” von Mark Whitwell
Desikachar hatte bereits das Buch “Heart of Yoga” 1995 herausgebracht. Ich kenne es nur auf Englisch, habe mich aber bei “Herz-Yoga” von Mark Whitwell sehr darin erinnert gefühlt. Er erzählt seine persönliche Geschichte und ehrt seine Eltern und Lehrer, wie es in indischen Schriften üblich ist. Doch dann folgt sein eigenes Herz-Yogasutra: Das Yoga-Herz liegt da “wo links mit rechts verschmilzt, oben mit unten, vorne mit hinten, Einatem mit Ausatem, außen mit innen, weiblich mit männlich, Stärke mit Empfänglichkeit”. Seine 44 Herz-Yogasutras muten revolutionär an, weil sie so konsequent sind: eine zeitgenössische Anlehnung an Patañjalis Yoga Sutras. Den Hauptteil im ersten Teil bilden Mitschriften seiner Vorträge, Erläuterungen zu seinen Herz-Yogasutras. Im zweiten Teil des Buches “Yoga vom Haken genommen” dreht sich alles um alltagstaugliches Üben, darunter auch Themen wie Schöpfung oder Yoga-Lehrer, Texte und Mantras, Tantra und Sexualität.
Yoga-Lehrer sind auch nur Menschen
Das Kapitel über Yoga-Lehrer ist nicht belehrend, es erklärt ganz schlicht, dass der Yoga-Lehrer auf Augenhöhe mit dem Schüler sein sollte. Er solle als Freund den Weg weisen. Das wusste ich zwar vorher schon, wirklich in mein Yoga-Herz konnte es erst durch dieses Buch vordringen. Es hat mir den Druck genommen, perfekt sein zu müssen, und ich konnte meinen Lehrer als Menschen wahrnehmen, ohne ihn auf ein Podest zu stellen. Ich danke allen meinen Lehrern und deren Lehrern von Herzen für alles, was sie mich gelehrt haben. Yoga-Lehrer sind Menschen, sie sind auch mal erkältet, können nicht alles wissen und müssen nichts “darstellen”. Mit diesem Wissen kann man sich mal umschauen, wer unter den Yoga-Lehrern nicht nur “sich” verkauft, sondern schlicht freundschaftliche Hilfestellungen anbietet. Schüler und Lehrer wachsen immer miteinander, das werde ich nicht mehr vergessen.