Laut Patañjalis Yoga Sutra gibt es neun Zerstreuungen, die jeden Yogi irgendwann befallen. Schauen wir sie uns näher an.
Erst mal auf die Matte
Dabei schaut man sich genau an, was den Geist ablenkt und unruhig werden lässt. Neben den fünf störenden Neigungen (Kleshas) halten den Geist auch die neun Zerstreuungen davon ab, überhaupt Yoga regelmäßig zu üben. Diese Zerstreuungen oder Hindernisse überkommen fast automatisch jeden Yogi auf dem Yoga-Weg. Yoga soll den Geist zur Ruhe zu bringen. Das Sutra 1.30 erläutert: Macht man regelmäßig Yoga und schreitet auf dem Weg der Erkenntnis voran, wehrt sich der Geist und gaukelt einem psychosomatische Krankheitsbilder vor. Der Geist möchte nämlich gar nicht zur Ruhe gebracht werden! Hat man das überwunden, ist man erschöpft und träge. Dabei wäre jetzt die beste Lösung, auf die Matte zu gehen: Man erhält neue Energie und ist hinterher dazu noch stolz wie Bolle, dass man sich aufgerafft hat! Doch stattdessen überkommt einem Zerstreuung Nummer drei, der Zweifel: Daraus entsteht Unschlüssigkeit und man wird nachlässig im Üben. Wenn man das so liest, frage man sich, wer es überhaupt je zum Üben auf die Matte schafft? Es hält einen ja ununterbrochen etwas ab!
Überwindung der Nachlässigkeit
Hören Sie das auch? Mein Sofa hat gerade leise aber deutlich nach mir gerufen… und ich habe ja schon gestern ausführlich geübt! Nachlässigkeit ist also das vierte Hindernis und man überwindet es indem man sich bewusst macht, was gerade mit einem passiert. Mit zunehmender Klarheit überwindet man die Unschlüssigkeit zwar schon und irgendwie denkt man: Wie einfach! Doch Achtung, wenn man denkt, jetzt kann nichts mehr schief gehen, lauert genau darin das fünfte Hindernis: Es ist Mangel an Selbstkontrolle, man wird wieder faul und träge, übt nicht richtig und sucht sogar Hindernis Nummer sechs: Die Ablenkung durch Äußerlichkeiten. Diesmal ist es vielleicht gar nicht das Sofa, sondern tolle Yoga-Gadgets. Man dachte, man wäre schon so weit, da fällt man zurück in alte Verhaltensmuster (Samskaras)! Übler Trick!
Übersinnliche Fähigkeiten
Jetzt kommt es aber noch dicker, denn jetzt ist es nicht mehr Mangel an Selbstkontrolle oder Trägheit, sondern die völlige Überheblichkeit: Man verfällt auf die Idee, besondere und übersinnliche Fähigkeiten zu suchen (Hindernis Nummer sieben). Man ergeht sich in diesem Vorstellungen und stellt ernüchtert fest, dass man auf dem Yoga-Weg irgendwie nicht weiter kommt und meint, versagt zu haben (das achte Hindernis). Durch Bewusstwerden und Demut kann man die Situation annehmen und erlangt unvermittelt den Zustand des Yoga: Der Geist entspannt sich. Alles erreicht? Nee, es gibt noch eine letzte Hürde: Man freut sich so sehr über diesen Zustand, dass man sich davon augenblicklich wieder löst. Die beste Erklärung liefert Ralf Skuban in „Patañjalis Yogasutra“: Hindernis neun bedeutet, man kann das erreicht Niveau nicht halten.
Die Lösung: Patañjalis lässt uns nicht allein!
Das sind alles leichte bis schwerwiegende Verblendungen, die man bei sich selbst beobachten kann. Alledings ist es nichts, was man nicht mit Aufmerksamkeit beheben kann. Im Yoga Sutra 1.32 steht wie man damit umgehen soll: Üben, Üben, Üben – daran führt kein Weg vorbei! Abhyasa, das beharrliche Üben, wird auf ein Ziel ausgerichtet. Beim Üben kann man sich immer wieder selbst fragen: „Was ist wirklich wichtig?“ Wenn man das in seiner Yoga-Praxis beachtet, kommt man der eigenen Wahrheit näher und lernt das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden (Viveka). Das beginnt bei den Yamas und Niyamas, bei den Asanas und gelingt laut Patañjali vor allem durch Meditation. Sie schult in Unterscheidungsfähigkeit und führt uns auf den Weg zu heiterer Gelassenheit.
Yoga Sutra: Über die neun Zerstreuungen
Patañjalis Yoga Sutra ist DAS Standartwerk für alle Yogalehrer, -schüler und Philosophen. Es ist ein Leitfaden für den Yoga-Weg in 195 knappen Sankrit-Versen. Zum Yoga Sutra kommen immer neue Auslegungen heraus, was das Studium dieses sehr wichtigen Textes erleichtert. „Die Wurzeln des Yoga“ von P. Y. Deshpande und „Patañjalis Yogasutra“ von Ralf Skuban kann ich sehr empfehlen. Am Ende muss man sich trotzdem seine eigenen Gedanken zu den einzelnen Leitsätzen machen, um sie zu überprüfen. Ohne die eigenen Bemühungen bleibt Patañjalis Yoga Sutra ein abstraktes Werk.