Wie der Atem auf die Psyche wirkt

Lesedauer 6 Minuten

Was hat der Atem mit deiner Seele zu tun?

Er ist mehr als nur eine lebensnotwendige Körperfunktion. Er spiegelt deine Persönlichkeit, deinen emotionalen Zustand und Lebenssituation wider. Diese tiefe Verbindung zwischen Atem und Psyche hat eine lange kulturelle und philosophische Geschichte.

Die Vorstellung einer “Atemseele” oder “Hauchseele” war in vielen Kulturen verbreitet. Ihr liegt die Idee zugrunde, dass Atem nicht nur Lebenskraft spendet, sondern sich die Seele darüber ausdrückt – oder sogar mit der Seele identisch ist. In der antiken Medizin unterschied man dann auch zwischen dem körperlichen Pneuma (Geist, Hauch, Luft, Atem) und dem Seelenpneuma.

Atman, Prana, Hun-Seele & Qi

Ähnliche Konzepte finden sich in Indien mit den Begriffen Atman und Prana sowie in China mit der Hun-Seele und dem Qi. Diese traditionellen Vorstellungen bilden die Grundlage für unser heutiges Verständnis der engen Verbindung zwischen der Atmung und dem psychischem Befinden. Die westliche Psychotherapie nutzt inzwischen auch dieses Wissen, um gezielt auf die psychische Gesundheit einzuwirken. Hier schließt sich der Kreis für mich zum Yoga.

Wie die Neue Zürcher Zeitung in einem Videobeitrag berichtet, atmen die meisten Menschen flach: “Stress, Hektik, Druck – Faktoren, die unser Atmen und unseren Körper beeinflussen. Angstzustände und gewisse Atemstörungen behandeln viele mit Medikamenten – obwohl man sie allein mit gezielten Atemtechniken und dem Bauchatmen beheben kann.”

Die Zeitung weist auch darauf hin, dass an der Kinderklinik in Davos die Zahl der Jugendlichen mit psychosomatischen Atemstörungen zugenommen hat. Diese werden nicht nur medikamentös behandelt, sondern lernen eben auch wieder, tief zu atmen.

Der Atem als Spiegel der Persönlichkeit

Der Atem fungiert als umfassender Indikator für die gesamte Persönlichkeit und den aktuellen Zustand deines Seins. Die Art und Weise, wie du atmest, kann Aufschluss geben über:

  • deine körperliche Verfassung

  • deinen emotionalen und psychischen Zustand

  • vergangene Erfahrungen und Traumata

  • deine aktuelle Lebenssituation und Stressbelastung

  • Persönlichkeitsmerkmale wie Ängstlichkeit oder Gelassenheit

Diese Aspekte manifestieren sich daneben auch in Körpermustern, also in deiner Körperhaltung, in deinen Bewegungsmustern und deiner Stimme. Dadurch wird der Atem zu einem zentralen Verbindungselement zwischen Körper, Geist und Seele bzw. Psyche.

Beispiel aus der Traumatherapie

In der Traumatherapie, insbesondere bei der Behandlung von Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS), spielt die Beobachtung und Arbeit mit dem Atem eine wichtige Rolle. Ein typisches Beispiel ist die Behandlung von Patienten mit Flashbacks oder Panikattacken: Ein traumatisierter Patient zeigt bei der Erinnerung an das traumatische Ereignis oft eine deutliche Erregung und dadurch eine Veränderung des Atemmusters: Sie wird häufig flach, schnell und unregelmäßig und spiegelt die emotionale Erregung und den Stress wider, in den der Patient durch die Erinnerung versetzt wird.

In der Therapie kann der Therapeut diese Veränderung als Indikator für den inneren Zustand des Patienten erkennen und durch gezielte Übungen, wie tiefes Bauchatmen oder rhythmisches Atmen untersützen. So kann der Patient lernen, seinen Erregungszustand zu regulieren.

Die Normalisierung des Atemmusters hilft dabei

  • den Körper aus dem Alarmzustand herauszuholen,

  • die emotionale Erregung zu reduzieren und

  • das Gefühl von Kontrolle und Sicherheit wiederherzustellen.

Im Laufe der Therapie kann die Atmebeobachtung sowohl dem Therapeuten als auch dem Patienten selbst als Frühwarnsystem für aufkommende Angstzustände dienen. Gleichzeitig wird sie bewusste zu einem Werkzeug, mit dem der Patient aktiv seine psychische Verfassung beeinflussen kann.

Bewusstem die Psyche “tunen”?

Diese Idee basiert auf der Erkenntnis, dass die Atmung zwar größtenteils autonom abläuft, aber auch willentlich beeinflusst werden kann. Diese Fähigkeit zur bewussten Kontrolle eröffnet Möglichkeiten, aktiv auf psychische und emotionale Zustände einzuwirken.

  1. Doppeltes Spiel: Dein Atem läuft zwar von alleine, aber du kannst ihn auch steuern.

  2. Nerven-Workout: Wenn du bewusst atmest, trainierst du dein Nervensystem: Du hast es in der Hand, dich aufzuregen oder zu beruhigen.

  3. Gefühls-Tuning: Mit der richtigen Atmung kannst du deine Stimmung aufhellen oder dich runterbringen, ganz wie du’s brauchst.

  4. Hier und Jetzt: Auf deinen Atem zu achten, holt dich aus dem Gedankenkarussell zurück in den Moment.
  5. Körper-Geist-Connection: Je mehr du mit deinem Atem spielst, desto besser bekommst du mit, was in dir wirklich vorgeht.

Atemlos durch den Tag

Normalerweise läuft dein Atem ganz gleichmäßig ab, aber manchmal kommt er auch aus dem Takt. Was ihn stören kann:

  1. Die Gesellschaft hat oft einen hohen Erwartungen an dich. Das ist sozialer Druck, der dich stressen und bringen dich durcheinander.

  2. Ständig unter Strom zu stehen, ist Leistungsdruck. Er lässt dich dann schneller und flacher atmen.

  3. Wenn du viel im Kopf und nicht im Körper ruhst, grübelst und analysierst du vielleicht viel. Dann vergisst du manchmal, tief durchzuatmen.

  4. Auch emotionaler Stress wie Ärger, Angst oder Traurigkeit können deinen Atem “verkrampfen” lassen.

  5. Und körperliche Verspannungen können zu psychischem Stress führen und umgekehrt zu körperlichen Verspannungen, die wiederum deinen Atem einschränken.

Wenn du nachts wach liegst…

Du liegst mal wieder nachts wach und grübelst über irgendeine Sache nachg. Dein Gedankenkarussell macht einfach keine Pause. Dann malst du dir alle möglichen Worst-Case-Szenarien aus. Dir wird plötzlich bewusst, dass du ganz flach atmest. Jetzte versuchst du, tief durchzuatmen, aber irgendwie fühlst du dich blockiert. Es ist, als ob dein Körper auf Alarmstufe Rot ist. Du wachst vielleicht sogar du mehrmals auf und schnappst nach Luft. Dein Herz rast.

Das Ergebnis: Am nächsten Morgen fühlst du dich total verspannt. Dein Nacken tut weh und du hast das Gefühl, nicht richtig durchatmen zu können. Das zeiht sich dann durch deinen Tag. Vielleicht hast du vergessen, dass es an der Nacht davor lag. Vielleicht hast du öfter solche Nächte. Dann kommst du gar nicht mehr richtig aus dem Kreislauf und deienr gedrückten Stimmung heraus.

Atem und Psyche

Du versthest jetzt hoffentlich, wie Atmung und Psyche zusammengehören. Sie stehen in einem engen Wechselspiel.

Situationen, die unsere Atmung beeinflussen, wirken sich auch auf unsere Psyche aus. Umgekehrt spiegeln sich psychische Zustände in unserem Atemmuster wider. Stress, Angst oder Überforderung können zu flacher Atmung führen. Du kennst das vielleicht: Bekommst du einen Schreck, hältst du den Atmen an und ziehst sogar die Schultern hoch. Im Gegensatz zu tiefer, bewusster Atmung, die dich entspannen lässt und innere Ausgeglichenheit fördert.

Oder warum geht es dir nach dem Yoga-Unterricht so gut?

Yoga & Pranayama

Aus dem Yoga weiß ich, dass der Atem eine Brücke nach innen darstellt. Von den äußeren Eindrücken bringen wir die Aufmerksamkeit über den bewussten Atem nach innen. Dazu nutzen wir verschiedene Atemtechniken (Pranayama).

Indem du lernst, deinen Atem bewusst wahrzunehmen und zu steuern, kannst du eine Brücke zwischen dem äußerlich Wahrnehmbaren und deinem inneren, deinen Körperwahrnehmungen und deinem Geist, herstellen. Das kann dir ermöglichen, besser mit Stress umzugehen, dich emotional zu regulieren und insgesamt ein ausgewogeneres Leben zu führen. Die Arbeit mit dem Atem ist daher ein wertvolles Werkzeug in der Psychotherapie und kann auch im Alltag zu innerer Balance beitragen.

Auch in der therapeutischen Praxis nutzen ich als Yogalehrerin mein Wissen über diese Verbindung. Denn durch achtsame Wahrnehmung des eigenen Atems kannst du belastende Situationen frühzeitig erkennen und gegensteuern. Gezielte Atemtechniken helfen dabei, Angstzustände und psychosomatische Beschwerden zu behandeln.

Lass dir Zeit, lass den Atem geschehen

Eine besonders wirksame Methode ist die Nasenatmung. Sie reinigt und befeuchtet nicht nur die einströmende Luft, sondern verbessert auch die Sauerstoffaufnahme und fördert die Kommunikation zwischen den verschiedenen Gehirnbereichen. Eine Studie der Northwestern University in Illinois belegt sogar, dass das Einatmen durch die Nase statt durch den Mund die Gehirnaktivität im gesamten limbischen System synchronisiert, das Regionen umfasst, die für die Verarbeitung von Emotionen und Erinnerungen entscheidend sind.

Diese Synchronisierung verbessert kognitive Funktionen wie das Erinnerungsvermögen und die emotionale Urteilsfähigkeit​: Du kannst dadurch Dinge und Emotionen anderer Menschen klarer beurteilen, und auch deine Gedächtnisleistung steigern! Diese Studie wurde im von Christina Zelano geleitete und im Journal of Neuroscience veröffentlicht.

Atemübung zum Ausprobieren

Hier einige einfache Atemübungen, die du im Alltag anwenden kannst:

  1. Atemrhythmus: Einatmen, dabei langsam innerlich bis vier zählen und den Bauch größer werden lassen. Ausatmen, wieder langsam bis vier zählen und den Brustkorb leeren.
    Hat sich der Körper daran gewöhnt, kannst du steigern: beim Ein- und Ausatmen jeweils bis sechs Takte zählen.

  2. Verlängerte Ausatmung: Intensiviere die Ausatmung und zähle bis 12, bleibe beim Einatmen weiterhin auf sechs Takten.

  3. Zur 4-7-11-Methode erweitern: Beim Einatmen bis vier zählen, beim Ausatmen bis sieben zählen und das Ganze mindestens elf Minuten lang durchhalten.

  4. Die 4-7-8 Atemübung: Dabei atmest du für vier Sekunden ein, sieben Sekunden den Atem anhalten und für acht Sekunden atmest du aus. Diese Atemtechnik kann dir bei Aufregung helfen. Sie hilft dir, deinen Herzschlag zu verlangsamen, den Blutdruck zu senken und ein Gefühl von Entspannung und Ruhe zu fördern.

  5. Resonanzatmung: Sitz aufrecht, entspanne deine Schultern und deinen Bauch, atme aus. Dann atme fünf bis sechs Sekunden lang durch die Nase einatmen, lass dabei den Atem einfach einströmen. Dehne dabei deinen Bauch und lass zu, dass auch der untere Bereich der Lungen sich füllt. Dann, ohne Pause, die gleiche Zeitspanne lang sanft durch die Nase den Atem ausströmen lassen. Die Bauchdecke senkt sich wieder ab und wird flacher, dabei leeren sich die Lungen. Etwa zehnmal wiederholen, gern öfter. Die Atmung sollte ein beständiges Fließen sein, man sollte sie sich wie einen Kreislauf vorstellen.

  6. Wechselatmung aus dem Yoga für mehr Gelassenheit

Im persönlichen Gespräch können wir deine Fragen klären und eine Atem-Praxis entwickeln, die genau zu dir passt.

Buche gern für einen Austausch mit mir einen kostenlosen Zoomcall. Jetzt buchen!

Annette Bauer

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