Iyengar betrachtet die Totenstellung Shavasana als die schwierigste Haltung im Yoga. Dabei liegt man doch nur auf dem Rücken und tut gar nichts, oder?
Nicht einschlafen!
Ziel ist es, ein aufmerksames Gewahrsein aufrecht zu erhalten und nicht einzuschlafen. Man liegt also in Shavasana auf dem Rücken nach einer ausgewogenen Asana-Praxis. Waren tagsüber die Arbeit oder die Yoga-Praxis zu anstrengend, wird man sich gern in einen Halbschlaf fallen lassen. Idealerweise erlangt man einen Zuwachs an Energie, um auch in der Totenstellung zu verharren und den Atem zu beobachten. Ein angenehmes, schwebendes Gefühl löst das Ich auf, man ist pures Sein, gestaltlos. Bei der Meditation geht es um das Erlangen von Freiheit, in Shavasana möchte man die Spannungen lösen, die uns an unsere Identität binden. B. K. S. Iyengar in “Licht fürs Leben”: “Die Identität verlieren heißt herausfinden, wer wir nicht sind. Sagte ich nicht, dass die Intelligenz das Skalpell ist, das alles Unwirkliche wegschneidet und nur die Wahrheit übrig lässt?” Im Jetzt und Hier sein bedeutet, dass die Zeit verschwunden ist.
Die Zeit verlieren
Die Zeit existiert nur in unserer Vorstellung als Zeiger der Uhr oder als Zeitstrahl. Man kann sie nur virtuell einteilen, aber wie lang ist ein Augenblick? Iyengar empfiehlt die Gegenwart von Vergangenheit und Zukunft zu trennen, um im Hier und Jetzt zu sein. In Shavasana gelingt uns das, dabei ist uns Zeit in diesem Moment endlich mal egal. Die Zeit bleibt stehen oder dehnt sich sogar aus. Ein Phänomen. Deshalb meint Iyengar: “Ist es da verwunderlich, dass es das allerschwierigste Asana ist und die Pforte zur nichtdualistischen Meditation und kosmischen Verschmelzung des Samadhi?”
Shavasana, die Totenstellung
Hier schließt sich der Kreis zum Thema “Yoga und die Angst vorm Tod”, denn wir lassen los in der Totenstellung und üben Kumbhaka in den Pranayama-Techniken, um diese Angst zu erforschen. Das Ergebnis könnet sein, dass wir den Zeitbegriff für uns aufgeben, wissend, dass alles nur ein Prozess der Transformation ist. Eine Energieform wandelt sich in eine andere, was nach dem Tod kommt, macht uns neugierig und nicht mehr ängstlich. Sterben ist großes Abenteuer, denn wir entdecken neue Landschaften und treffen unsere Ahnen wieder. Ich bin fest davon überzeugt! In Shavasana fühle ich mich gehalten und getragen wie in Abrahams Schoß.