Meditation? Ich habe keine Zeit!
Da ich verschiedenen Tätigkeiten nachgehe wie psychotherapeutische Sitzungen, unterrichten in der Heilpraktikerschule oder in der Yogaschule und meinen Blog schreibe, sehne ich mich nach einer Auszeit.
An der Ostsee war es schön. Aber ich meine Meditation, die Auszeit nach innen.
Meditation ist für mich persönlich sehr wichtig. Im Sommer wollte ich mal wieder für zehn Tage in ein Schweige-Retreat, zu Vipassana, fahren. Leider wurde ich abgelehnt, da ich als Yogalehrerin tätig bin. Darüber bin ich doch sehr verwundert und ärgere mich, denn jede*r sollte doch die Möglichkeit haben, die Technik zu verfeiern. Aber ich „als Yogalehrerin könnte die „reine Lehre“ von Vipassana verwässern“. Wodurch? Durch meine eigenen Techniken.
Nun, da ich die Lehre von Herrn Goenka nicht besudeln möchte, stelle ich dir heute eine Schatzkammer mit Meditationstechniken vor, aus denen ich auch schöpfen kann.
Vijñanābhairava Tantra
Vor über tausend Jahren wurde das Vijñanābhairava Tantra mündlich weitergegeben und irgendwann aufgeschrieben. Es ist ein uralter Sanskrit-Text, der 112 Meditationstechniken beschreibt – stell dir vor, 112 verschiedene Türen zur inneren Ruhe! Was mich an diesem Text so fasziniert: Er ist unglaublich praktisch und alltagstauglich. Hier geht es nicht um komplizierte Philosophie, sondern um einfache Übungen, die du sofort anwenden kannst.
Das Besondere daran?
Diese Techniken arbeiten mit dem, was du sowieso schon tust: atmen, spüren, wahrnehmen. Du brauchst keine jahrelange Vorbereitung oder besondere Ausrüstung und auch keine „reine Lehre“. Du brauchst nur dich selbst und die Bereitschaft, einen Moment innezuhalten. Denk an die Momente, in denen du dich völlig entspannt fühlst, in einer Pause im Alltag, auch wenn es nur kurze Momente sind, kannst du sie als Tür zu tiefer Stille nutzen.
Wir gehen auf eine Reise zu deiner inneren Mitte. Du wirst erfahren, wie du durch eine einfache Herzraum-Meditation zu dir selbst findest und wie du dir die Zeit dafür schaffst.
Die Weisheit des Vijñanābhairava Tantra
In diesem Text aus dem Kaschmirischen Shivaismus, der als Dialog angelegt ist, fragt Göttin Bhairavi (Shakti) Gott Shiva (Bhairava), wer er sei. Und anstatt es ihr zu sagen, erklärt er, wie man die Antwort mithilfe verschiedener Techniken (Tantra) findet. In seiner Antwort beschreibt Bhairava 112 Wege, um in den universellen und transzendentalen Bewusstseinszustand zu gelangen. Dieser Text gilt als einer der wichtigsten dieser Tradition. Aus dieser Sammlung kannst du die Meditation finden, die für dich am besten funktioniert. Und warum solltest du mit Meditation beginnen? Weil sie dich in deine Mitte bringt, dem wichtigsten Ort in deinem Leben!
„In deine Mitte kommen“
Zur Ruhe kommen, dich zentrieren oder in deine Mitte kommen bedeutet immer, einen ausgewogenen Zustand des Geistes zu erlangen. Wenn ich also von „Mitte“ spreche, meine ich den Raum zwischen zwei Zuständen, den du normalerweise durch Geschäftigkeit leicht übersiehst. Stell dir vor, du stehst am Meer und spürst diesen besonderen Moment zwischen Ebbe und Flut: Das Wasser steht völlig still, weder kommt es noch geht es. In diesem Augenblick herrscht eine tiefe, fast mystische Ruhe. Genau diese Art von „Mitte“ meint das Vijñanābhairava Tantra, wenn es von madhya vikāsa spricht, der Entfaltung der Mitte.
Du kennst solche Momente aus deinem Alltag, auch wenn du sie vielleicht nicht bewusst wahrnimmst. Denk an den Moment, wenn du morgens aufwachst und noch nicht ganz da bist, weder schläfst du noch, noch bist du vollständig wach. Oder wenn du abends müde wirst und deine Gedanken langsam zur Ruhe kommen. Du schwebst zwischen Tag und Nacht, zwischen Aktivität und Ruhe. In diesen Zwischenmomenten liegt eine besondere Kraft, eine natürliche Entspannung, die du dir zunutze machen kannst.
Reines Bewusstsein: Mind the Gap!
Mein Lehrer sagte immer: Mind the Gap, achte auf die Lücken! Diese „Lücken“ zwischen zwei Zuständen sind wie kleine Fenster oder Übergänge. Du findest sie überall: zwischen Ein- und Ausatmen, zwischen zwei Gedanken, zwischen zwei Herzschlägen, zwischen dem Moment, wenn dein Fuß den Boden verlässt und beim Gehen wieder aufsetzt. Das Vijñanābhairava Tantra lehrt uns, diese winzigen Pausen bewusst zu erleben, anstatt über sie hinwegzueilen. Hier löst sich die ständige Anspannung auf, hier findest du einen Geschmack von echter Freiheit.
Es sind kleine Moment zwischen dem Aufhören Weckerklingeln und deinem ersten Gedanken am Morgen. Vielleicht eine Sekunde, vielleicht zwei. In diesem winzigen Zeitfenster bist du einfach nur da und du selbst, du existierst einfach nur, und das fühlt sich friedlich an.
Was passiert in diesen besonderen Momenten? Du befindest dich weder im einen noch im anderen Zustand, besser gesagt: im „sowohl-als auch“. Du bist weder vollständig entspannt noch gestresst, weder müde noch hellwach, weder traurig noch fröhlich. Du schwebst in einem Raum jenseits der üblichen Kategorien. Das Vijñanābhairava Tantra nennt das „das Dritte“, einen Zustand, der beide Pole umfasst und gleichzeitig übersteigt. Hier erfährst du dich als das, was du wirklich bist: reines Bewusstsein oder der innere Beobachter, das alle Zustände beobachtet, aber von keinem gefangen ist.
Ein wunderschönes Beispiel dafür erlebst du vielleicht, wenn du dein Kind beim Schlafen beobachtest. Du spürst gleichzeitig tiefe Liebe und absolute Ruhe, Dankbarkeit und Stille. Du bist weder die sorgende Mutter noch die erschöpfte Frau, sondern einfach nur liebende Präsenz. In solchen Momenten lehrt dich das Vijñanābhairava Tantra: „Wenn Aus- und Einatmen entspannt sind und still werden, wenn sich die Mitte durch das Leerwerden der Gedanken entfaltet, nimm dein Herz wahr und weite dich in diese Mitte hinein.“ Du brauchst nichts zu tun, außer da zu sein und zu spüren.
Die Herzraum-Meditation
- Vorbereitung: Du brauchst keinen perfekten Meditationsplatz oder eine besondere Ausstattung für diese Übung. Such dir einfach einen Ort, wo du für ein paar Minuten ungestört sein kannst: Das kann dein Lieblingsstuhl im Wohnzimmer sein, eine Ecke in deinem Schlafzimmer oder sogar dein Bürostuhl zwischen zwei Meetings. Wichtig ist, dass du dich hinsetzen oder hinlegen kannst und deine Füße festen Kontakt zum Boden haben.
Spüre bewusst, wie deine Füße den Boden berühren, wie dein Körper vom Stuhl oder der Matratze getragen wird. Lass deine Schultern sinken und erlaube auch deine Gescihtzüge zu entspannen. Werde weich. Vielleicht möchtest du noch eine warme Decke um deine Schultern oder ein Kissen unter deine Füße legen. Manche meiner Klient*innen zünden sich eine Kerze an oder legen eine Hand aufs Herz. Mach es so, wie es sich für dich richtig anfühlt.
- Die Reise beginnen: Lass deine Aufmerksamkeit sanft von deinem Kopf in Richtung Brustkorb wandern, als würde ein warmer, goldener Lichtstrahl durch deinen Körper fließen. Du musst nichts erzwingen oder perfekt machen; werde weich. Vielleicht spürst du dort zunächst gar nichts Besonderes. Manche beschreiben das Gefühl wie von einem geliebten Menschen umarmt zu werden, eine Empfindung wie Geborgenheit oder Heimkommen.
Falls deine Gedanken abdriften – und das werden sie, das ist völlig normal – nimm es mit einem liebevollen Lächeln zur Kenntnis und kehre sanft zu deinem Herzraum zurück. Behandle deine wandernden Gedanken wie kleine Kinder, die Aufmerksamkeit brauchen: „Ja, ich sehe euch, und jetzt möchte aber erst mal bei meinem Herzen sein.“ Du darfst dir vorstellen, dass du in eine warme, gemütliche Höhle in deinem Brustkorb hineinkriechst. Hier bist du sicher, hier darfst du einfach nur sein.
- Das feine Pulsieren entdecken: Mit der Zeit kannst du bemerken, wie dein Atem auf natürliche Weise ruhiger wird, ohne dass du etwas dafür tun musst. Es ist, als würde sich dein Herzraum mit jedem Atemzug ein bisschen mehr entspannen und weiten. Vielleicht spürst du ein sanftes Vibrieren oder Pulsieren, wie das leise Summen einer Biene an einem warmen Sommertag. Dieses feine Pulsieren ist nicht dein Herzschlag, es ist etwas viel Subtileres, die Lebensenergie (Prana) selbst, die durch dich fließt.
Eine meiner Teilnehmer*innen beschrieb es so: „Es fühlt sich an, als würde mein Herz lächeln.“ Eine andere sagte: „Wie kleine, warme Wellen, die durch meine Brust fließen.“ Du wirst deine eigene Wahrnehmung haben, als Licht, als Wärme oder wie ein inneres Strahlen. Es gibt kein richtig oder falsch, vertraue dem, was du wahrnimmst. Es ist ganz fein, ganz zart und unendlich kostbar.
- Ausdehnung deiner Mitte: Je länger du in der Übung bleiben kannst, umso mehr kann sich dein Herzraum ausweiten: wie ein ruhiger Ozean, grenzenlos, friedlich und wunderschön. Du musst nichts tun, außer die natürlichen Ausdehnung zu erlauben. Vielleicht breitet sich diese Weite über deinen ganzen Körper aus, vielleicht darüber hinaus. Du bist gleichzeitig ganz bei dir und grenzenlos weit. Und genau das ist die Erfahrung der Mitte, von der das Vijñanābhairava Tantra spricht.
Wenn Gedanken auftauchen – wie schon gesagt, sie werden auftauchen –, lass sie wie Wolken vorbeiziehen. Du musst sie weder bekämpfen noch ihnen folgen. Sag innerlich liebevoll zu ihnen: „Danke, dass ihr da seid, doch bleibe ich ganz hier in meinem Herzraum.“ Bleib entspannt in deinem weiten Herzraum, auch wenn das Leben um dich herum weiterfließt.
Das Märchen von der fehlenden Zeit
„Ich habe keine Zeit für Meditation.“ Ist das so? Mal ehrlich: Das Problem liegt nicht daran, dass du zu wenig Zeit hast. Zeit ist wie Wasser – sie fließt dorthin, wo du deine Aufmerksamkeit hingibst. Wenn du dir anschaust, wofür du täglich Zeit findest, wirst du überrascht sein: Du hast Zeit für soziale Medien oder für Gespräche über Dinge, die dich eigentlich gar nicht interessieren. Oder du findest Zeit, um dir Sorgen zu machen.
Du hast Zeit, du verwendest sie nur anders, als dir guttut.
Wer bestimmt deine Prioritäten?
Wenn du dich fremdbestimmt fühlst, hat dein Außen längst die Regie übernommen. Andere Menschen, gesellschaftliche Erwartungen, dein innerer Kritiker – alle haben Stimmen in deinem Kopf bekommen und entscheiden mit, wie du deine kostbare Lebenszeit verbringst. Du sagst ja zu Dingen, die du eigentlich nicht willst, aus Höflichkeit oder schlechtem Gewissen. Du sagst nein zu Dingen, die dir guttun würden, weil du denkst, das sei egoistisch.
Wer hat eigentlich festgelegt, dass Selbstfürsorge egoistisch ist?
Du bist schließlich die Königin deines eigenen Lebens! Eine Königin würde nicht jeden Bittsteller empfangen, sondern klug entscheiden, wem sie ihre Aufmerksamkeit schenkt. Sie würde sich erst um ihr eigenes Wohlergehen kümmern, und Selbstmitgefühl entwickeln, damit sie kraftvoll für andere da sein kann.
Schütze dein göttliches Bewusstsein
Das Vijñanābhairava Tantra lehrt uns drei Qualitäten, die wie Säulen eines stabilen Hauses wirken: Einfachheit, Geduld und Mitgefühl.
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Einfachheit bedeutet, dass du nicht kompliziert denken musst, um zu dir zu finden. Du brauchst keine stundenlangen Rituale oder teure Ausrüstung – ein paar bewusste Atemzüge reichen schon.
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Geduld heißt, dass du dir Zeit gibst, ohne dich unter Druck zu setzen. Deine Entwicklung darf langsam und organisch geschehen, wie eine Pflanze, die in ihrem eigenen Tempo wächst.
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Mitgefühl bedeutet, dass du liebevoll mit dir umgehst, auch wenn mal etwas nicht klappt.
Bleib entspannt: Mal gelingt dir die Meditation wunderbar, mal schweift dein Geist ab. Beides ist völlig in Ordnung. Sei deine beste Freundin mit dir selbst! Das ist es, was diese drei Qualitäten in dir bewirken können.
Meditationsfragen für deinen Alltag
Nimm dir einen Moment und frage dich ehrlich:
- Wofür findest du immer Zeit?
- Welche Gewohnheiten ziehen automatisch deine Aufmerksamkeit auf sich?
- Was schiebst du immer wieder auf, obwohl es dir wichtig ist?
- Bist du zufrieden mit deinen Entscheidungen?
- Fühlst du dich am Ende des Tages erfüllt oder erschöpft?
Deine Antworten verraten dir mehr über deine wirklichen Prioritäten, als dir vielleicht lieb ist. Du findest Zeit für das, was dir unbewusst wichtig ist. Und genau da kannst du ansetzen und bewusst umsteuern.
Es gibt einen großen Unterschied zwischen „produktiv beschäftigt sein“ und „sinnvoll beschäftigt sein“. Ich kenne viele Frauen, die sich ständig beschäftigt halten, um nicht spüren zu müssen, was ihnen wirklich fehlt. Aber die Herzraum-Meditation zeigt dir einen anderen Weg: den Weg nach innen, wo du findest, was du suchst. Dort wartet deine Mitte auf dich, sie ist geduldig, liebevoll und immer für dich da.
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