Zeit: Verzettelst du dich auch so oft?

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Das Leben ist ein endloser Kreislauf. Wenn alles Entstehen und Vergehen ist, was bedeutet dann der Zeitbegriff im Yoga? … und dann verzettelst du dich vielleicht nicht mehr so oft!

Gibt es die Zeit überhaupt?

Wir stellen uns Zeit auf einer Achse oder einem Zeitstrahl von links nach rechts vor oder unterteilen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wenn du Yoga übst, zielt deine Praxis mit Meditation und Achtsamkeitstraining darauf ab, nur im Hier und Jetzt zu sein. Das bedeutet, Zeit auszudehnen. Aber geht das denn überhaupt, wenn meine Gedanken ständig abschweifen?

Meist hängt man Gedanken nach und ist damit in der Vergangenheit. Die Zukunft hat noch nicht stattgefunden und trotzdem planen wir und hoffen, dass es dann so kommt, wie wir es und vorgestellt haben. Die einzige Zeit, in der wir leben können, ist jedoch die Gegenwart. Nur im Hier und Jetzt können wir etwas verändern. Also liegt es nahe, sich darauf zu konzentrieren: Jetzt kann man das Leben genießen, wer weiß was morgen ist. Ängste beziehen sich auf die Zukunft oder sind in der Vergangenheit entstanden. Beides ist also nicht real, wird nur vorgestellt und sind in der Gegenwart nicht vorhanden, außer man steht einem echten Tiger gegenüber…

Säuglinge leben immer in der Gegenwart. Man geht davon aus, dass das Zeiterleben erst als Kleinkind, Zeitwissen und Zeiterfahrung ab dem Schulalter einsetzen. Das Zeitgefühl entsteht aus Gedanken und Erinnerungen und hilft uns zu einem subjektiven Erleben, denn wir benötigen dieses Gefühl von “was war wann” und “was geschah in welcher Reihenfolge”, um uns sicher zu fühlen. Es gibt uns ein Bewusstsein von Identität und Sinnhaftigkeit.

Praktisch erzählen wir uns selbst damit immer wieder unsere eigene Geschichte: “Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden.” Søren Kierkegaard

Der Yoga möchte diese “Geschichten” reflektieren und sie als Illusion (Maya) entlarven. Es sind Schleier, die sich über unsere Wahrnehmung legen, und uns davon abhalten, klar zu sehen. Und dann wird auch der Zeitbegriff relativ. Wer schon mal im Flow, in der Meditation oder in Shavasana ganz losgelöst war, kann sich das gut vorstellen.

Vergangenes loslassen & Zukunft nicht planen

Mit der Vergangenheit verbinden wir schöne und weniger schöne Erinnerungen. Je öfter wir schmerzliche Erfahrungen durchleben und damit wiederbeleben, umso mehr schleifen sie sich im Gehirn ein. Sie schaffen Samskaras, eingetreten Pfade, die zu großen Straßen werden können. Grübeln und sich Vorwürfe machen vertieft zudem Schuldgefühle. Wäre doch schön, wenn du das alles loslassen könntest!

Auch gute Erinnerungen verstellen dir den Blick: Du möchtest etwas genauso wieder erleben. Das schafft in diesem Fall Anhaftung und du bist nicht offen für neue Erfahrungen. Um beides loszulassen, widmest du dich dem Selbststudium und reflektierst – schwelgst jedoch nicht in Erinnerungen – und übernimmst Verantwortung für das, was ist.

Genauso ist es mit der Zukunft, die noch gar nicht da ist: Das Grübeln kommt von Ängsten, denen du Raum gibst. Es ist nicht falsch, sich Gedanken über die Zukunft zu machen. Jedoch ist Planen nicht sinnvoll, es geht eher darum, wie du IN Situationen reagierst. Wenn du aus dem Reiz-Reaktions-Gefängnis ausbrechen möchtest, komm erst mal zur Ruhe – dann entsteht eine neue Lage! Dann und erst dann, solltest du reagieren.

Wozu also etwas planen? Im besten Falle stellst du dich selbst als glücklich und erfolgreich vor. Das schafft eine positive Grundstimmung und gibt hoffentlich Selbstbewusstsein, beschränkt gleichzeitig dein Blickfeld und du bleibst nicht offen für das, was wirklich passiert. Planen nutzt im Moment wirklich gar nicht, denn Wünsche kommen immer aus dem Ego, das dann Angst hat, etwas nicht so zu bekommen, wie du es geplant hast. Ein Teufelskreis: Am Ende bist du immer enttäuscht und unzufrieden.

Bedeutungslosigkeit von Zeit

“Diese beiden Extreme (Anhaften und Selbstqual) vermeidend, ist der Vollendete zum mittleren Vorgehen erwacht, das sehend und wissend macht, das zur Beruhigung, zum Überblick, zum Erwachen und zum Nirvana führt.” (Die zweite der vier edlen Wahrheiten des Buddhismus)

Der Kreislauf der Wiedergeburten im Buddhismus oder die Götter Brahma, Vishnu und Shiva im Hinduismus stehen für das ewige Entstehen und Vergehen. Auch wenn du damit nichts zu tun hast, erkennst du den wiederkehrenden Zyklus der Natur in den Jahreszeiten oder im Tagesrhythmus.

In der hinduistischer Auffassung dauert ein Schöpfungszyklus mehrere Trillionen (Menschen-)Jahre. Für Gott Brahma, der als Schöpfungsgott verehrt wird, ist das jedoch nur ein Tag: Damit wird die Bedeutungslosigkeit des Zeitbegriffs aufgezeigt. Nach hundert Brahma-Tagen geht die erschaffene Welt wieder in die Allseele ein: Alles kehrt zum Ursprung zurück.

Auch westliche Philosophie und Mystik habt sich des Zeitbegriffs angenommen. Du kennst das vielleicht: Manchmal scheint die Zeit zu rasen, dann dehnt sie sich wie Kaugummi. Die Frage ist, ob es im Auge des Betrachters liegt, wie sich Zeit verhält. Dabei “verhält” sich die Zeit gar nicht: Sie ist immer gleich und hat mit der inneren Einstellung zu tun.

Einstellung = innere Haltung = Yoga.

Es geht immer um Veränderung und Übergänge und wie wir damit umgehen. Heute beschäftigen sich auch Wissenschaften wie Physik, Hirnforschung, Psychologie oder Neurologie mit diesem Thema. Sie kommen zu der Erkenntnis, dass es mit der Wahrnehmung, Bewertung und dem Bewusstsein eines Menschen zusammenhängt, wie Zeit erlebt wird. Konkret:

Was sagen Philosophie und Forschung dazu?

  • In seinem Werk “Die Kritik der reinen Vernunft” stellt Immanuel Kant seine Theorie einer mehrschichtigen Zeit vor. Er sieht Zeit als transzendental an und ist der Ansicht, dass Zeit kein Begriff, sondern eine Anschauung ist. Sie hat mit dem “Sich-selbst-bewusst-sein” zu tun. Die Frage ist also: Wir Zeit durch meine innere Haltung/Anschauung überhaupt erst erschaffen?
  • Was Zeit eigentlich ist, beschrieb Albert Einstein so simpel: “Zeit ist das, was man an der Uhr abliest.” In seiner Relativitätstheorie “untersuchte er das Verhalten von Raum und Zeit aus der Sicht von Beobachtern, die sich relativ zueinander bewegen, und die damit verbundenen Phänomene.” (Wikipedia) Das führte ihn zu der Idee der Krümmung von Raum und Zeit. Seine Idee hat sich, trotzdem sie für viele Menschen schwer vorstellbar ist, tief in unserer Sprache als “relativ” eingenistet.
  • Psychologie und Hirnforschung sind zu der Erkenntnis gelangt, dass Gedanken, Erinnerungen, Bewusstsein und das Zeitgefühl im Menschen so miteinander verschmolzen sind, dass sie im Erleben nicht getrennt werden können.

Faulheit ist das letzte, was vom Paradies übrig ist

Schönstes Zitat von Prof. Karlheinz Geißler in dieser Sendung: “Die Faulheit ist das letzte, das uns vom Paradies noch übriggeblieben ist.” Und um dich jetzt nicht ganz im Regen stehen zu lassen, habe ich für dich ein paar yogische Ideen und Übung, mit denen du dir Zeit “verschaffen” kannst.

Zeit: Verzettelst du dich auch so oft?

Denn oft kommt das Leben dazwischen und du fühlst dich doch wieder gehetzt… Im Alltag ist das nicht so leicht, einfach mal ins Hier und Jetzt zu kommen, oder?

  • Der Volksmund rät: Einfach mal durchatmen. Und das ist es schon: Yoga im Alltag kann funktionieren, wann immer du dich zwischendurch auf dich selbst besinnst. Klappt natürlich nicht immer, aber immer öfter. Also probiere es doch einfach mal und nimm es dir nicht übel, wenn du auch mal nicht daran denkst. Dranbleiben ist hier das Zauberwort und schafft längerfristig die Magie und die Entspannung im Alltag, die du so sehr bauchst. Wirklich wahr – es funktioniert!
  • Die Gegenwart ist kostbar, sie ist der einzige Moment, in dem wir wirklich leben. Um das Gedankenkarussell zu beenden, kannst du dich selbst immer wieder ins Hier und Jetzt zurückholen. Sag deinen Gedanken: “Ihr habt jetzt mal Pause! Gerade jetzt möchte ich nicht denken, sondern sein.” Das ist Meditation: Die Gedanken vorbeiziehen lassen und dahinter die Ruhe deines wahren Selbst entdecken!
  • Oder du machst dir bewusst, was du alles schon erreicht hast und kultivierst Dankbarkeit. Denn immer nur auf das Morgen, den neuen Job oder einen tollen Partner zu warten, verschwendet das Hier und Jetzt. Und ZACK, schon ist wieder ein kostbarer Augenblick verstrichen…

Wenn du es mal ausprobiert hast und mit mir darüber sprechen möchtest: Buche gern für einen Austausch mit mir einen kostenlosen Zoomcall.
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Annette Bauer

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