Komm in den Anfängergeist

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In seinem Gedicht “Stufen” findet man bei Hermann Hesse die berühmten Zeilen: “Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.” Das kann man sich für das Leben und auch für Yoga zu Herzen nehmen.

Neugierig, offen & aufmerksam

Der Anfängergeist ist das, was einen wach und aufmerksam sein lässt, und der Erkenntnis über sich selbst näher bringt: Wenn man etwas Neues beginnt, ist man neugierig, offen und aufmerksam, entdeckt neue Dinge und besitzt im besten Falle ein Staunen und Wundern. Durch die Bereitschaft zu neuen Erfahrungen entsteht Hingabe zu diesem neuen Abenteuer.

Im Yoga kann ich das oft beobachten. Ein Beispiel: Der Schüler ist erst skeptisch, probiert sich aus, hat ein Aha-Erlebnis und freut sich. Daraufhin ist er bei der nächsten Übung offener.  Ich ermuntere meine Schüler*innen in meinen Kursen dazu. Andersherum kenne ich das, dass fortgeschrittene Yoga-Teilnehmer*innen schnell gelangweilt sind, wenn sie die Übungen schon kennen und vermeinen sie zu beherrschen. Dabei geht es gar nicht um das Beherrschen, eher um das Erkunden und Erspüren und diesen Weg immer weiter zu verfolgen und zu vertiefen. Denn jeder Tag ist anders. ich bin jeden Tag anders!

Im Anfängergeist gibt es viele Möglichkeiten;
im Geist des Experten nur wenige.”
Shunryu Suzuki

Je aufmerksamer ich mich beobachte, umso eher kann ich Unterschiede wahrnehmen, bin konzentriert und achtsam. Dahinter steckt etwas ganz großartiges: freiwillige Disziplin.

Komm in den Anfängergeist

Anfängergeist bedeutet, dich auf eine Forschungsreise zu dir selbst zu begeben. Der Yogalehrende zeigt dir die Karte und beschreibt die Umgebung, aber auf den Weg musst du dich schon selbst machen. Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt und trotzdem darfst du immer wieder überprüfen, ob es auch für dich wirklich passt. Wenn du dir die Neugier und Faszination eines Anfängers bewahren kannst, trägt es dazu bei, tiefer dein Bewusstsein zu erkunden.

Ein Trick ist, dir klar zu machen, dass jeder Tag und jede Tagesform anders ist. Mal ist der Geist unruhiger, an einem anderen Tag entspannter, das schlägt sich auch im Atem nieder. Deshalb spielt der Atem beim Yoga und in der Meditation eine so zentrale und große Rolle.

Anfängergeist im Alltag

Mach dir im Alltag immer wieder das Wunder des Lebens bewusst. Du bist ein Wunder! Dein Atem, der von ganz alleine kommt und geht, ist ein Wunder!

Nicht ohne Grund ist es so wunderbar, kleine Kinder an Weihnachten zu beobachten und ihnen immer wieder vom Weihnachtsmann zu erzählen. Wir erfreuen uns an ihrer Begeisterung, obwohl wir wissen, dass wir sie belügen. Je älter du wirst, nehmen die Momente, eines dieser Mysterien zu erleben, ab. Sich dessen bewusst zu sein, dass das ganze Leben ein Mysterium ist, bringt viel Freude und Lebendigkeit zurück.

Ich bin jeden Tag neugierig darauf, was ich Tolles an diesem Tag erfahren werden. Das ist keine selbst erfüllende Prophezeiung, sondern liegt im Wissen begründet, dass ich das, was ich mir Wünsche, anderen beschere: Gutes Karma erfüllt Wünsche. Ich mache mir mein eigenes Weihnachten jeden Tag!

Aber was, wenn es stressig wird?

Wenn du auch in stressigen Situationen aufmerksam und neugierig bleibst, hast du die Chance, dich zu beobachten bevor du reagierst. Mind the Gap! Mit diesem kleinen Zwischenschritt kultivierst du deine  Unterscheidungsfähigkeit und kannst üben, anders zu reagieren oder andere, neue Entscheidungen zu treffen.

Yoga unterstützt dich durch Versuch und Irrtum und bringt dich in die Selbstermächtigung. Du fühlst dich dem Stress weniger ausgeliefert. Das ist das Schöne, es gibt jeden Tag unendlich viele Möglichkeiten. Mit Yoga spielst du damit, erforschst und beobachtest, findest dabei heraus wie das Leben funktioniert.

Be the change you want to see

Das Leben besteht aus Wandel und Veränderung: Entstehen und Vergehen. Im Yoga ist keine Haltung jeden Tag gleich, wie sich auch der Atem jeden Tag, jede Minute ändert. Yogis und Seher (Rishis), stellten darüber schon vor 3000 bis 5000 Jahren Gesetzmäßigkeiten fest. Auch wir können dieses Wissen heute noch täglich beim Yoga überprüfen und uns selbst auf die Schliche zu kommen. Leider sind nicht alle Menschen so entspannt, um forschend und gelassen sich selbst zu beobachten.

Immer größere Anforderungen im Alltag verwirren viele Menschen oder machen ihnen Angst. Viele arbeiten immer mehr, um die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes in Schach zu halten. Andere erleben Verluste und kommen darüber nicht hinweg. Yoga kann dich unterstützen, mit den Anforderungen des Lebens angemessen umzugehen. Ängste, Rückschläge oder Verluste können als so übermächtig erfahren werden, das der Mensch sich nicht mehr zu helfen weiß. Das muss nicht so kommen, wenn du achtsam bleibst.

Der Anfängergeist holt dich aus der Vergangenheit oder deinen Zukunftsvisionen zurück ins Hier und Jetzt. Nimm bewusst wahr, wie es dir gerade in deinem Körper geht. Welche Gefühle hast du gerade und was spürst du dazu im Körper?

Yoga und Embodiment

Embodiment ist die Verkörperung eines Zustandes. Der Begriff kommt aus der Psychosomatik von Psyche und Soma = Körper. Also drückt sich deine Psyche über deinen Körper aus, man sieht, was du fühlst! Zum Beispiel sieht man, ob du deine Arme angelegt hältst oder sie locker und offen sind. Die Körperhaltung entsteht im Innern und entscheidet über deine Laune. Die äußere Haltung korrespondiert mit dem inneren Gefühl und stellt oft dieses Gefühle überhaupt erst her!

Das kannst du selbst ausprobieren: Dich hängen lassen oder dich aufrichten; tatsächlich bedeutet, eine Haltung einzunehmen oder zu “haben”, sie zu “sein”. Bist du locker oder gerade angespannt? Spür mal in deinen Körper!

  • Bei einer  Depression möchte man den Patienten nicht nur aufrichten, sondern zur Handlung anregen. Im Yoga bieten wir dazu brustöffnende Haltungen und Rückbeugen wie beispielsweise die Schulterbrücke an.
  • Ist man durch ein Phlegma gefangen, können schnellere Bewegungen ausgeführt werden; laufen, sich bewegen, als Mittel gegen die zähe Umklammerung der herabziehenden Gefühle.
  • Es gibt aber auch unruhige Depressionen, da helfen dann Vorbeugen und Pranayama, um durch den Atem zur Ruhe zu kommen. Natürlich ersetzt das nicht den Arztbesuch, aber Yogatherapie kann eine ärztliche Behandlung sehr gut begleiten.

Yoga und die Wissenschaft

Heute werden diese in Yogakreisen bekannten Gesetzmäßigkeiten auch von der Wissenschaft nach und nach bestätigt: Ob es dabei um den Körper des Menschen, Meditation, Medizin oder Hirnforschung geht. Für Yoga muss das alles nicht westlich-wissenschaftlich belegbar sein, da Yoga selbst eine Erfahrungswissenschaft ist.

Hält man sich im Alltag an die Vorgaben des Ayurveda und übt Yoga und Pranayama, kannst du diese Erfahrungen bei dir selbst überprüfen. Dazu benötigst du kein Labor, sondern nur dich selbst. Trotzdem bin ich froh über die wissenschaftlichen Forschungen, die belegen, dass Yoga wirkt: Immer mehr Menschen üben Yoga, allein weil die Krankenkassen und das Gesundheitsmanagement in Firmen Entspannungskurse fördern. Ob Kurse nach der Arbeit oder zwischendurch, Yoga kann immer helfen, Wahrnehmung und Achtsamkeit auf sich selbst zu schärfen. Wenn du dich selbst besser kennst, bemerkst du deine Reaktionen rechtzeitig und kannst aus einer gesunden Distanz heraus gelassener reagieren. Das ist doch prima, oder?

Hast du mal 5 Minuten?

Hier kommen wieder 5 Übungen, von denen du dir bitte immer nur eine pro Tag vornimmst. Lass dir Zeit, lass die Frage über länger sacken und dir die Antworten liefern. Spüre heute dabei vor allem in deinen Körper und schau mit Neugierde und Anfängergeist darauf. Frage dich und schreibe ohne abzusetzen:

  1. Zu welchen Menschen möchte ich eine tiefe Beziehung aufbauen?
  2. Wer sind meine Vorbilder? Gibt es Möglichkeiten sie persönlich zu treffen, um von ihnen zu lernen?
  3. Was möchte ich von anderen lernen?
  4. Was ist mir wichtig im Leben?
  5. Was tut mir gut?

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Annette Bauer

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